inhaltliches zur Vorbereitung & Information

zum Bundestreffen der Totalen Kriegsdienstverweigerer
vom 19.10. bis 21.10.2001 in Hamburg


Liebe Totis,
Liebe Interessierte,

im Folgenden findet ihr die Beiträge, die uns bisher zur Vorbereitung des butre 2001 erreicht haben. Falls wir noch weitere Texte erhalten, werden wir sie ebenfalls unverzüglich hier dokumentieren, es lohnt sich also, nochmal wieder zu kommen.

  • Andreas Speck (Mitarbeiter der WRI) zur AG Internationales [ > lesen]
  • "Geschichte der Ehrenliste der Gegangenen für den Frieden" von den War Resisters' International [ > lesen]
  • "Sagt NEIN! Ein Aufruf zur Verweigerung von Kriegsdienst und Kriegsvorbereitung" von den War Resisters' International [ > lesen]
  • "Anmerkungen zur Organisationsstruktur der TKDV-Bewegung" - ein Thesenpapier für die AG EinsteigerInnen [ > lesen]
  • "Seid Sand! - nicht legalistisch!" - Dokumentation eines Thesenpapiers vom butre 2000 [ > lesen]



  • einiges weitere lesenswerte zum Thema (ohne Gewähr):

  • "Freiheit? Sieben Thesen zur Lage in Zeiten kriegsvorbereitender Propaganda" von Ch. Spehr (in: nadir.org) [ > lesen]
  • "Interdependence Day. Politik an der Grenze zum Empire" von no spoon (in: com.une.farce No. 5) [ > lesen]
  • "Proteste der Friedensbewegung. Die weißen Tauben fliegen wieder. - Die Linke und die Anschläge, Teil IV." Von Ivo Bozic (in: Jungle World 43/01) [ > lesen]
  • "Gegen wessen Kriege welchen Widerstand? Thesen für einen neuen Antimilitarismus" von der autonomen a.f.r.i.k.a.-gruppe (in: com.une.farce No. 3) [ > lesen]
  • eine Sammlung 'linker' aktueller Stellungnahmen (in: trend 10/01) [ > lesen]
  • lest ausserdem:
    trend - onlinezeitung für die alltägliche wut,
    com.une.farce - zeitschrift für kritik im netz & bewegung im alltag,
    Jungle World und andere,
    und immer nadir und indymedia .






  • eine kurze Erläuterung von Andreas Speck, der als Mitarbeiter der War Resisters International eine AG zu Perspektiven und Möglichkeiten internationaler Zusammenarbeit von t/KDV-Netzwerken leiten wird:
    "Was ich in der AG vorhabe, ist eine kurze Darstellung der Situation in ein paar Laendern (z.B. will die Antikriegskampagne in Kroatien Totalverweigerung mehr propagieren, nachdem die 'legalen' KDV-Zahlen sich in diesem Jahr auf mehr als 2000 verzehnfacht haben, Tuerkei ist immer ein schwieriges Thema, und in Spanien aendert sich ja sowieso gerade alles), und eine allgemeine Darstellung der Arbeit der WRI zum Thema (t)KDV. Daran kann sich eine Diskussion ueber die Vorteile internationaler Kooperation anschliessen, und eventuell kann ich noch etwas zu Aktionsplanungen fuer den 15 Mai 2002 sagen, denn wir planen eine internationale Aktion, und die Beteiligung von TKDVern aus Deutschland waere sehr gut."


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    "Geschichte der Ehrenliste der Gegangenen für den Frieden

    Für mich als WRI-Aktivist ergeben sich zwei Privilegien daraus, dass ich in den Niederlanden lebe. Eines ist, dass ich mit dem Fahrrad zum Geburtsort der WRI fahren kann. Das andere ist, dass ich leichten Zugang zum Erbe der WRI habe, das im Internationalen Institut für Sozialgeschichte (IISG) in Amsterdam aufbewahrt wird.
    Doch wurde ich erst auf diese Vorteile aufmerksam, als unsere Vorsitzende Joanne Sheehan einen Besuch beim IISG plante, und mich bat, sie zu begleiten. Wenn man durch die Archive der WRI geht, wird man sich bewusst, dass wir bereits eine lange Geschichte haben. Ich hatte Einblick in die Papiere zu Gefangenen für den Frieden, und war beeindruckt.
    Der 1. Dezember 1956 war der Tag, an dem die WRI zum ersten Mal den Tag der Gefangenen für den Frieden beging. Zu diesem Anlass wurde eine Ehrenliste der Gefangenen für den Frieden veröffentlicht, und alle Mitglieder der WRI-Sektionen wurden aufgerufen, den Gefangenen Postkarten und Briefe zu schicken. Diese grundlegende Idee blieb über die Jahre im wesentlichen gleich. Der einzige Unterschied zu heutigen Liste ist, dass damals die Liste aus Kriegsdienstverweigerern, die inhaftiert waren, und aus denen, die Ersatzdienst leisteten, bestand. Im Laufe der Jahre wurde die Liste mehrmals verändert. Heute enthält sie jede/n, die/der wegen gewaltfreier Aktionen gegen Krieg oder Kriegsvorbereitungen inhaftiert ist.
    Die Tatsache, dass die Ehrenliste 1956 begann, bedeutet nicht, dass vor diesem Datum die WRI nichts für inhaftierte FriedensaktivistInnen unternahm. Ich fand in den Unterlagen von der WRI erstellte Listen der Gefangenen für den Frieden, Listen von inhaftierten Kriegsdienstverweigerern oder Kriegsdienstverweigerern in Arbeitslagern, ab 1926. Nur wenige Jahre fehlten, insbesondere die Jahre um den Zweiten Weltkrieg (1940-1946). Seit 1947 gab es jedes Jahr eine Liste. Doch erst 1956 wurde der 1. Dezember zum Tag der Gefangenen für den Frieden erklärt.
    Wie erfolgreich das war und noch ist kann vielleicht daran abgelesen werden, dass 1958 zwei Inhaftierte mehr als 1000 Grüsse erhielten. Ich konnte keine ähnlichen Aufzeichnungen finden, doch ich schätze, dass Osman Murat Ülke diesen Rekord gebrochen haben muss, als er am 1. Dezember 1997 und 1998 inhaftiert war. Zu dieser Zeit war der Einflussbereich der WRI nicht klein.
    1961 wurde die Ehrenliste der Gefangenen für den Frieden zum ersten Mal gedruckt. Interessanter ist, dass 1963 zum ersten Mal sechs KDVer aus Jugoslawien auf der Liste standen. Sie sassen Gefängnisstrafen von 6 bis 9 Jahren ab. Wahrscheinlich war das die erste Erwähnung von Gefangenen von ausserhalb der nordatlantischen Hemisphäre, doch es sollten mehr werden. Ein Jahr später, 1964, sehen wir die erste Erwähnung von Gefangenen für den Frieden aus einem Land der Dritten Welt: sieben Inhaftierte aus Pakistan, die Strafen von bis zu 14 Jahren absassen. In den schlimmsten Jahren des Kalten Krieges begegnen wir den ersten Gefangenen für den Frieden aus Ostdeutschland, Algerien, Griechenland, Spanien, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion. 1983 gibt es zum ersten Mal einen besonderen Schwerpunkt zu inhaftierten Kriegsdienstverweigerern aus Ungarn, und die Ehrenliste der Gefangenen für den Frieden wird von einem Kampagnenpaket begleitet.
    Trotzdem, die Ehrenliste der Gefangenen für den Frieden wurde im wesentlichen von westlichen AktivistInnen und Kriegsdienstverweigerern aus Osteuropa gefüllt. Gefangene aus Ländern der Dritten Welt blieben auf der Liste rar. 1971 gab es erneut Gefangene für den Frieden aus Pakistan, zusammen mit jemanden aus Mosambique und glaube es oder nicht einem aus Süd-Vietnam! 1973 gab es jemanden aus Israel, und 1977 jemanden aus Rhodesien.
    Wir sehen ausserdem eine interessante Entwicklung in der Betrachtung von Kriegsdienstverweigerern. Ab 1967 wird die Liste unterteilt in inhaftierte KDVer und KDVer, die in Arbeitslagern ihren Ersatzdienst leisten. Zu dieser Zeit sahen einige Leute den Ersatzdienst offensichtlich nicht mehr als Strafe an. Zumindest sahen sie eine Notwendigkeit, zwischen diesen beiden zu unterscheiden. Es ist mir nicht klar, in welchem Jahr entschieden wurde, KDVer, die Ersatzdienst leisteten, von der Liste zu streichen.
    es gab 1974 eine Debatte über die Fortführung der Ehrenliste der Gefangenen für den Frieden. Auch wenn die Liste ernsthaft zur Disposition gestellt wurde, so wurde ihre Erstellung doch fortgesetzt, und das gilt bis heute."

    Bart Horeman
    (Der Autor ist als Schatzmeister Vorstandsmitglied der War Resisters' International)


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    "Sagt NEIN!
    Ein Aufruf zur Verweigerung von Kriegsdienst und Kriegsvorbereitung

    War Resisters' International, 29. September 2001

    Die Internationale der KriegsdienstgegnerInnen (War Resisters' International), ein internationales Netzwerk pazifistischer Organisationen mit mehr als 85 Mitgliedsverbänden in über 40 Ländern ruft auf zur Kriegsdienstverweigerung, wann und wo auch immer Krieg vorbereitet oder geführt wird.
    Wir sind tief geschockt und wütend über die terroristischen Angriffe auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September. Zugleich verurteilen wir den so genannten "Krieg gegen Terrorismus". Auf das Verbrechen des terroristischen Angriffs zu antworten, indem man das Verbrechen begeht, gleichermassen unschuldige Menschen zu töten, begleicht weder die Rechnung noch vermittelt es den Menschen das Gefühl von Sicherheit - es vergrössert nur das Leiden.
    Wir fordern Gerechtigkeit ohne Krieg. Ein Vergeltungskrieg wird nur die Spirale der Gewalt beschleunigen. Von Präsident George W. Busch vor die Wahl gestellt "wenn ihr nicht für uns seid, seid ihr für die Terroristen", wählen wir eine dritte Möglichkeit: Gewaltfreiheit. Gewaltfreiheit ist eine aktive Antwort und bietet jeder und jedem von uns die Möglichkeit, Krieg und Kriegsvorbereitung zu widerstehen. Sie ermöglicht uns eine Welt zu bauen, in der Sicherheit durch Abrüstung, internationale Zusammenarbeit und soziale Gerechtigkeit gewonnen wird, nicht durch Eskalation und Vergeltung.

    Demzufolge fordert die Internationale der KriegsdienstgegnerInnen von allen Soldaten, in welcher Streitmacht sie auch immer kämpfen mögen: ·Folgt eurem Gewissen und weigert euch mitzumachen. Stellt einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, verweigert Befehle, desertiert. Sagt NEIN!
    - All jenen, die in Kriegsvorbereitungen einbezogen sind, in den Verwaltungen oder den Rüstungsfirmen: Macht nicht mit. Sagt NEIN!
    - JournalistInnen und Medien, die den Krieg rechtfertigen sollen: Macht nicht mit, besteht darauf, die unzensierte Wahrheit zu schreiben und zu senden. Sagt NEIN!
    - Alle, die Steuern zahlen: fordert, dass diese Steuern für den Frieden verwendet werden, haltet den Anteil zurück, der für Krieg ausgegeben wird. Sagt NEIN!

    An alle Menschen: Unterstützt jene, die sich weigern an Krieg und Kriegsvorbereitung teilzunehmen. Beteiligt euch am direkten gewaltfreien Widerstand gegen Krieg! Wir sind uns bewusst, dass nicht jeder Mensch in jedem Land oder jeder Situation in der Lage ist, auf einem dieser Wege Widerstand zu leisten. Es gibt viele andere Wege, ebenfalls Protest und Widerstand auszudrücken. Die Internationale der KriegsgegnerInnen unterstützt alle, die gegen den Krieg handeln und verpflichtet sich selbst, jenen zu helfen die wegen ihres Widerstands Repressionen ausgesetzt sind."


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    diese Anmerkungen zur Organisationsstruktur der TKDV-Bewegung werden voraussichtlich Bestandteil der AG EinsteigerInnen sein

    "In den folgenden Anmerkungen geht es im wesentlichen um den Stand der Organisationsstruktur der TKDV-Bewegung. Dass Organisationsstrukturen im vom inhaltlichen Diskussionsprozess abhängen, liegt auf der Hand. Die Desertöre aus Hamburg haben zum BuTre 2000 mit dem Thesenpapier "Seid Sand! - nicht legalistisch!" eine Diskussion über strukturelle Besonderheiten der TKDV-Bewegung angeregt. Die fehlenden Stellungnahmen der meisten HamburgerInnen in der Diskussionsrunde des damaligen BuTres waren für die derzeitige Situation in der TKDV -Bewegung charakteristisch und zeigten nur zu deutlich unsere Kommunikationsschwierigkeiten auf. Form und Inhalt gehen im dialektischen Sinne einher, und somit kann zunächst nur vermutet werden, dass auch ein nicht unbeachtlicher Anteil Furcht vor einer offenen Diskussion bestand. Dies ist auch nicht verwunderlich, greifen die Hamburger Thesen das Selbstverständnis vieler TKDVer zunächst einmal an. Allerdings wurde auf dem BuTre 2000 auch ersichtlich, dass es grundlegendere Probleme hinsichtlich einer konstruktiven Zusammenarbeit gibt.

    Bis auf Punkt 4 wurde dieser Beitrag kurz nach dem BuTre 2000 von mir geschrieben. Ich habe ihn jetzt wieder in den Tiefen des PCs gefunden und denke ihn fürs BuTre 2001 als Diskussionsbeitrag für die EinsteigerInnen AG zu nutzen. Vielleicht ist es ja nicht sinnvoll eine EinsteigerInnen AG hiermit zu konfrontieren, aber das überlasse ich der Diskussion....?!?

    Auf der Suche nach einer gemeinsamen Grundlage der TKDV-Szene innerhalb einer "staatsoppositionellen Bewegung" sehen die HamburgerInnen ein grundlegendes Problem darin, dass die TKDV-Solidaritätsarbeit sich "total auf eine einzelne Person fixiert und ausschliesslich auf den Höhepunkt Prozess ausgerichtet ist und zudem in der Überzeugung der Rechtmässigkeit der Tat einen juristischen Freispruch beansprucht." Dies verhindere "Kontinuität und Kollektivität" und fördere zudem einen "elitär wirkenden Habitus" der TKDV-Szene. Die Kritik bezieht sich also auf die juristische Auseinandersetzung mit dem Staat. Zwar sei es legitim, dass in der Abwehr der staatlichen Repression "jeder das Beste für sich herausholen" solle, dabei dürfe aber nicht die "Funktionsweise staatlicher Justiz" ausser acht gelassen werden. Die Probleme bestehen also auf mehreren Ebenen: der gesellschaftspolitischen, der TKDV-Bewegungsinternen und der individuellen Ebene.

    1.
    Die gesellschaftspolitische Situation, die dadurch geprägt ist, dass die BRD wieder eine kriegführende Militärmacht geworden ist und es keinen relevanten Widerstand gegen diese Politik gibt, wodurch die Regierung gezwungen wäre, zumindest "vorsichtiger und langsamer" Militarisierung und Umstrukturierung sämtlicher Lebens- und Arbeitsbereiche im Sinne einer grösseren Verwertung der menschlichen Arbeitskraft für das Kapital umzusetzen. Das, was momentan als sogenannte "Globalisierung oder Neoliberalismus" benannt wird, also die ledigliche Forcierung der ohnehin stattfindenden bürgerlich-kapitalistischen Vergesellschaftung, bewirkt in allen Lebensbereichen und Gruppenzusammenhängen eine grosse Unsicherheit. Der wesentliche Widerspruch innerhalb dieser Vergesellschaftung ist der Dualismus von Reaktion & Fortschritt, der sich auch in Repression & Fürsorge konkretisieren lässt oder anders gesagt: der systemimmanente Doppelcharakter der bürgerlichen Gesellschaft. Während also Kriege geführt werden, die Militarisierung des öffentlichen Raumes durch vermeintliche "Sicherheitskonzepte" zunehmen, die Abschottung gegenüber Flüchtlingen und die kapitalistische Verwertung der Menschen intensiviert werden, verbreitet sich parallel dazu der Anschein, die Entfaltung der Persönlichkeit könne freier gestaltet werden, zumal in einer ~Qschönen bunten Glitzerwelt~R mit ihren Anreizen für die Sinne. Dieser systemimmanente Widerspruch der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft müsste mehr beachtet werden, wenn ein Widerstand gegen das repressive und integrierende System geleistet wird. Dieser ist hier nur sehr grob angerissen. Das essentielle in der Aufrechterhaltung des politischen Alltagswiderstandes ist die ständige Vermittlung der gesellschaftspolitischen Ebene, die strukturell unser individuelles Handeln in eingeschränkter Form bestimmt.

    2.
    Bei der Beurteilung unserer antimilitaristischen TKDV-Strukturen ist es selbstverständlich unerlässlich jeweils den soziohistorischen Bezug herzustellen, d.h. über unseren eingeschränkten Wahrnehmungshorizont hinaus einzuschätzen, auf welcher Entwicklungslinie wir uns derzeit bewegen. Gibt es also Gründe für vorhandene Strukturen? Aufgrund der oben kurz skizzierten gesamtgesellschaftlichen Situation, die sich in der kompletten staatsoppositionellen, antimilitaristischen Bewegung so auswirkte, dass vermehrt Zeit und Kraft in der Abwehr bestimmter Massnahmen investiert werden musste, ist auch der strukturell angelegte defensive Charakter der TKDV-Szene zu verstehen. Die Identifikation mit der TKDV läuft zunächst sozialpsychologisch betrachtet über eine Negation bestehender Verhältnisse ab. In den Mittelpunkt der politischen Betätigung rückt also der abwehrende Habitus gegen die Zwangsverpflichtung. Nicht ein antimilitaristischer Anspruch oder gar politische Ideologien wie Sozialismus und/oder Anarchismus und sonstige Ismen sind der gemeinsame Nenner, sondern die defensive Kritik und Abwehr am und gegenüber dem Zwangssystem "Wehrpflicht" und die individuellen Freiheitsansprüche der einzelnen TKDVer. Das ist die gemeinsame Grundlage: die Aktionsform. Ob aber TKDVer gleichzeitig auch gegen Atomkraft sind oder militärische Strukturen generell ablehnen, gleiche Vorstellungen von einer zukünftigen Gesellschaft teilen (oder überhaupt irgendwelchen Zukunftskonzepten zugeneigt sind), steht auf einem anderen Blatt. Die Verortung der TKDV-Szene innerhalb der staatsoppositionellen Bewegung muss geleistet werden, das sehe ich auch so. Es kann nicht nur darum gehen, den eigenen Arsch (oder war es das Gewissen?) retten zu wollen.

    Die repressiven Verhältnisse haben es notwendig gemacht, dass sich innerhalb der TKDV-Bewegung, auf Grundlage der strukturell angelegten Defensive eine offensive Kreativität herausbildet: das war das JUT-Konzept, die juristische Unterstützung für Totalverweigerer. Mit der Herausarbeitung des JUT-Konzeptes hat sich ein Spezialwissen angehäuft, das notwendig ist und als solches sich zwangsläufig absetzt vom allgemeinen TKDV-Wissen, welches selbst ein Spezialwissen darstellt. Das Spezialwissen im Spezialwissen ist aber nicht absolut abgekapselt, sondern gibt die Möglichkeit mit anderen staatsoppositionellen Gruppen Gemeinsamkeiten zu finden. Und dies ist die Kritik an der politischen Justiz, die Kritik an der Funktionsweise des repressiven Staatsapparats Justiz und seine Auswirkungen auf die Gesellschaft. Hier ist auch die Verbindung zum systemimmanenten Widerspruch von Repression & Fürsorge. Die Repression gegen politische GegnerInnen war immer nur ein Teilbereich der Absicherung des herrschenden Status Quo. Abschreckung durch Strafe und somit Herausbildung staats- und herrschaftsaffirmativer Positionen der Individuen ist die Hauptfunktion von Justiz (juristisch: positive und negative Generalprävention). Die gilt es auf Grundlage unseres TKDV-Spezialwissens (und darin JUT-Spezialwissens) aufzuzeigen und anzugreifen. Denn mit der Frage nach der Funktion der Justiz stellt sich die Frage nach den Gesetzen, den Normen, den ungeschriebenen Gesetzen und vor allem warum Menschen diese Normen einhalten sollen und wie die lebenslange Disziplinierung durch Familie, Schule, Staat usw. hergestellt wird. Wie können wir also intensivere Kontakte mit anderen Bewegungen knüpfen und Detailwissen zusammentragen?

    Neben der Aufrechterhaltung des JUT-Konzeptes müsste also ein Bündnis-Konzept gegen politische Justiz & Repression im allgemeinen herausgearbeitet werden. Könnte eine TKDV-Szene, die ständig mit der Abwehr staatlicher Repression beschäftigt ist, dies bewältigen?

    Wenn, dann sicher nur langfristig und mit dem stetigen Verweis darauf, dass das grundsätzliche Problem nicht die Willkürjustiz darstellt, sondern der (bürgerliche) Staat wegen seines systemimmanenten Doppelcharakters von Repression & Fürsorge.

    3.
    Der vorgeworfene "elitäre Habitus" stellt hierbei das Kernstück des Problems dar. Die Furcht an der offenen Kritik am JUT-Konzept ist Ausdruck autoritärer Verhältnisse innerhalb der TKDV-Szene. Autorität stellt in sich einen Dualismus dar: das Tragen und Anerkennen von Autorität, in der TKDV-Szene (aber nicht nur hier) festzumachen am Wissensstand, Erfahrung und Gewohnheit. Ist es also Bedürfnis, über den TKDV-Tellerrand zu schauen, muss politisch-sachlich mit den faktischen Wissensdifferenzen umgegangen werden. Wir müssen uns bewusst werden, dass wir als Individuen einer autoritär konzipierten Gesellschaft aufgrund unserer Sozialisation alle im gewissen Masse TrägerInnen und AnerkennerInnen von Autorität sind. Dies sollten wir aufbrechen. Dazu benötigt es aber Offenheit und ein Klima des Zuhörens. Wir müssen also nachvollziehen können, auf welcher Ebene der Auseinandersetzung wir uns befinden, persönliche mitgetragene Befürchtungen, ängste und Selbstüberhöhungen müssen einer strukturierten Diskussion weichen.

    4.
    TKDV: Aktionsform für Alle?

    08. Oktober 2001. Gestern Abend haben US-amerikanisches und britisches Militär damit begonnen Afghanistan zu bombardieren. Nach den Anschlägen in Washington und New York folgte die Mobilmachung gegen den sogenannten "internationalen Terrorismus". Der sog. "Bündnisfall" gem. Artikel 5 NATO-Vertrag wurde bereits letzte Woche ausgerufen. Kanzler Schröder betont weiterhin die "uneingeschränkte Unterstützung" für die Kriegführung der USA. AWACS-Spionageflugzeuge mit Bundeswehrbesatzung sind in die USA abkommandiert worden, um dort gleichwertige Flugzeuge zu ersetzen, die in die Kriegsregion um Afghanistan verlegt wurden.

    Innenpolitisch wurde bereits vom Bundeskabinett beschlossen ein § 129b StGB einzuführen und im selben Zuge das Vereinsrecht für islamische Organisationen einzuschränken (Abschaffung des Religionsprivilegs). "Rasterfahndung" nach rassistischer Logik, NPD gegen Kriegsbeteiligung der BW (wie auch im Kosovo-Krieg) etc....

    Gegen dieses Szenario - oder auch nur gegen Teile davon - haben sich viele Stimmen zu Wort gemeldet. Insofern knüpfe ich an den obigen Punkt 2 an, an der Frage ob TKDV wirklich nur Aktionsform ist, also auch Aktionsform für alle möglichen Menschen verschiedenster Denkrichtungen sein kann?

    Zu begrüssen ist es zunächst, wenn immer mehr Menschen die Grundlagen der zivil-militärischen Zusammenarbeit in der BRD, die Zwangsmassnahmen gem. Artikel 12a GG und den Bundesgesetzen (WPflG, ZDG, ArbSG, KatSErgG etc.) bekannt werden und sie sich dagegen wehren, sich der totalen Verplanung für den kriegführenden Staat verweigern. Es ist zu begrüssen und eigentlich auch gerade jetzt Aufgabe die TKDV im umfassendsten Sinne (also nicht nur Wehrpflichtige betreffend) weiter zu propagieren! Aber wie?

    Und mit welcher Begründung?

    Mit Albert Camus gesprochen: Das NEIN! des Sklaven, der sich gegen den Befehl wendet, kehrt macht, also revoltiert, ist immer auch ein JA!, ein JA, das er für sich beansprucht. Er beansprucht das Recht, nicht mehr geknechtet zu werden! Für Camus ist es ein Hauptanliegen, dass die Revoltierenden sich dem Ursprung ihrer Revolte bewusst bleiben und ihre Revolte nicht zu Herrschaftsansprüchen transformieren. Diese Überlegungen stehen deutlich im gewaltfrei-anarchistischen Kontext!

    Nun gibt es sicherlich auch andere Begründungen, Bundeswehr und Zivildienst zu verweigern. Historisch ist die pazifistische Bewegung nie homogen gewesen, die anarchistischen Positionen hier immer in der Minderheit. Auch die religiösen Motive (etwa die der Zeugen Jehovas) sind nicht mit gewaltfrei-anarchistischer Positionen vereinbar.

    Neuerdings hat auch die Nachfolgeorganisation der DDR-Staatsjugend FDJ as Thema TKDV für sich gefunden. Mitglieder der FDJ, die als Rekrutierungsorganisation der "Arbeiterorganisation zum Wiederaufbau der KPD" angesehen werden kann, haben noch vor wenigen Jahren nicht alle Befehle bei der Bundeswehr verweigert, sondern brav (aber selbstverständlich kritisch gegenüber Nazis in der BW und natürlich der bösen imperialistischen BRD) den Kriegsdienst ausgeführt.

    In einer Erklärung, die auf einem Flugi der FDJ zum Antikriegstag 2001 veröffentlicht wurde, unterschreibt der ~STotalverweigerer~T, dass er kein Pazifist sei: "Ich kann mir vorstellen, für ein Land zu kämpfen, mit dessen Zielen ich übereinstimme und dessen Armee keine Angriffsarmee zur Verwirklichung der strategischen und ökonomischen Interessen der Kapitalmächtigen ist. Ich hätte mir vorstellen können, in der NVA meinen Dienst zu tun. Nicht, weil ich gerne Soldat sein wollte, sondern weil diese Armee nicht nur ein Land, sondern auch Werte verteidigte, die sich nach der Annexion der DDR nicht mehr durchsetzen konnte: das Einstehen für Frieden und Völkerfreundschaft."

    Was hält er und die FDJ von Totalen Kriegsdienstverweigerern aus der DDR? Was hält er von der Kritik an der militärischen Organisationsform der FDJ?

    Was hält er von der obligatorischen Wehrerziehung an Schulen in der DDR?

    Was von der nationalistisch-völkischen Eidschwörung auf das "sozialistische Vaterland"?

    Welche Kapitalismusanalyse steckt hinter diesen Aussagen?

    Das Thema DDR könnte hier noch weiter ausgereizt werden. Im gewissen Sinne ist es sogar sehr notwendig die TKDV-Bewegung in der DDR, die ideologischen Übereinstimmungen der vermeintlich so verschiedenen Systeme "Kapitalismus" und "Kommunismus" (richtiger Staatskapitalismus) zu beleuchten.

    Warum ich aber dieses Beispiel auch angeführt habe, ist die Frage nach der Gewalt und der Ideologie. Es kann nicht bei der Frage nach der Aktionsform der TKDV halt gemacht werden. Die Verweigerung jedes Kriegsdienstes, aller kriegsunterstützenden Massnahmen, ist ja nicht nur ein politisches Kampfmittel, es ist im Kern gerade die ethische Entscheidung nicht zu morden und nicht indirekt Mord zu unterstützen. Weniger zugespitzt formuliert, ist es die Entscheidung für eine gewaltfrei indentierte Aktionsform.

    Gewaltfreie Aktionsformen werden allerdings oftmals falsch verstanden, als ledigliche Form, als ästhetik ohne Ethik. Ich halte es schon für sinnvoll, Menschen von gewaltfreien Aktionsformen überzeugen zu wollen, nur aufgrund ihrer reinen formellen Effizienz (was eine utilitaristische Haltung wäre). Allein dieses Argument reicht nicht aus. Allerdings ist die ethische Begründung von Pazifismus und gewaltfreien Aktionsformen dermassen denunziert, dass dieser Einstieg meines Erachtens sinnvoll sein kann. Nur die Effizienz! Das sicherlich auch ethisch begründete gewaltfreie Blockadekonzept von X-Tausend mal Quer im Wendland kann in einer solchen Argumentation auch als Beispiel der Effizienz herangezogen werden.


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    dieses Papier wurde kurz vor dem letztjährigen bundesweiten Treffen (Juni '00) aus dem Hamburger Zusammenhang veröffentlicht:

    "Seid Sand! - nicht legalistisch!
    Ein kleines, unzulängliches Thesenpapier, inspiriert u.a. von einem Artikel in der Graswurzelrevolution Nr. 229 (Mai ´98)

    Die totale Kriegsdienstverweigerung ist eine Aktionsform, die kollektiv ausgeführt die Wirkung haben soll, militärische Planung und Verplanung zu behindern, um zu erreichen, dass die Wehrpflicht gesellschaftlich nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. (Es gibt sicherlich auch andere, individuellere Motivationen und Ziele, auf die ich aber hier nicht eingehen möchte, da ich sie nicht im direkten Sinne als politisch verstehe.)
    Sie ist als Handlung Ausdruck antimilitaristischen (oder antistaatlichen, antinationalen, pazifistischen, antiautoritären, ...) Bewusstseins und Veränderungswillens. Als solches kann sie aber eben nicht Grundlage einer Bewegung sein, die sich entsprechende Ziele gesetzt hat, nicht inhaltliche Klammer, die einen Pluralismus zusammenhält. Dazu braucht es breitere Konsense, in deren Rahmen dann in verschiedener Form gehandelt wird ( - z.B. kollektiv totalverweigert oder eben auch Kasernen und Kreiswehrersatzämter sabotiert). Diese zu schaffen und somit eine starke, breite Bewegung erst zu ermöglichen müsste ein zentrales Anliegen einer Szene sein, die effektiv antimilitaritisch handeln will und die totale Kriegsdienstverweigerung nicht nur um der individuellen Zwanglosigkeit willen versteht.
    Ein Teil der Problematik dabei liegt auf der Hand: Die Aktion TKDV kann nur von einem stark begrenzten Teil einer potentiellen antimitaritscvhen Bewegung ausgeführt werden: wehrpflichtige Männer. Sie kann daher immer nur eine Aktionsform unter anderen gleichen Ziels und Zwecks sein und muss als solche verstanden werden, sonst isoliert sie sich selbst von einer breiteren Basis. Zudem ist die TKDV keine alltägliche, wiederholbare Handlung, sondern einmalig und dabei sehr langwierig, was es erschwert, für die Gruppen wichtige Kontinuität herzustellen. In jedem Fall gilt, dass die derzeitige TKDV-Szene sich von ihrem oft elitär wirkenden Habitus lösen muss: antimilitaritische, radikale Inhalte und ihre Handlungsoptionen müssen breit thematisiert und propagiert werden, anstatt mit Scheuklappen die eigene Aktionsform zu verfolgen!

    Einen weiteren, fundamentalen Grund für die bisherige Nicht-Existenz einer tatsächlichen Bewegung sehe ich strukturell in der TKDV-Szene:
    Die Repression nicht nur gegen Totalverweigerer ist immer individualisiert. Solidaritätsarbeit ist unverzichtbar schon für den Betroffenen, kann diese Wirkung aber nicht aufheben, sondern allenfalls relativieren. Durch das Aufzeigen von Kontinuität und Wirkung der Handlung in Armee und Gesellschaft kann sie zudem öffentlichkeitswirksam sein und "nach innen" den Zusammenhalt untereinander und das Kollektivgefühl stärken.
    So weit, so gut und Solidarität ist eine Waffe. Die kann aber eben auch nach hinten losgehen und tut es häufig und immer wieder, oft genug auch noch unbemerkt.
    Solidaritätsarbeit, die total auf eine einzelne Person fixiert und ausschliesslich auf den Höhepunkt Prozess ausgerichtet ist und zudem in der Überzeugung der Rechtmässigkeit der Tat einen juristischen Freispruch beansprucht, verstärkt trotz aller "gemeint-sind-wir-alle"-Rhetorik die Individualisierung und Entpolitisierung des Einzelnen. Sie schafft tragische Heldenfiguren und konstruiert Justizopfer-Rollen, indem sie ein gewaltiges Brimborium um die Freiheit des Gewissens dieses einen Menschen macht und sich jedesmal aufs neue über Verurteilungen durch diesen "Rechtsstaat" echauffiert.
    Die Totalverweigerung als politische Aktion gegen die Wehrpflicht (und u.U. das Militär insgesamt) ist darauf ausgerichtet, militärische Reibungslosigkeit zu stören. Das ruft unvermeidlicherweise die Justiz als systemimmanentes Repressionsorgan auf den Plan, die ihre Rolle erfüllt und den Störer mit Sanktionen belegt. Solange sie diese Funktion wahrnimmt, kann und wird sie nicht anders handeln. Wer das nicht anerkennt und Konsequenzen daraus zieht, hat auf struktureller Ebene schon verloren. Was dann bleibt ist eben der Versuch, durch mehr oder weniger weit hergeholtes Berufen auf gesellschaftliche Normen und systemisch konstituierte Rechte ("Gewissensfreiheit") persönlich so gut wie möglich davonzukommen. Das mag dem Einzelnen reichen, meiner Ansicht nach ist die TKDV an diesem Punkt entpolitisiert: Sie hat keinen strukturellen Anspruch mehr, ist nicht mehr in der Lange einen Druck aufzubauen, der Veränderung für die Gesellschaft schlicht notwendig macht. Eine starke Prozessorientierung und Fixierung auf die Fälle der Einzelnen bricht zudem jeden Versuch von Kontinutität und Kollektivität auf, die noch politische Aspekte hätten tragen können.

    Ich will nicht verneinen, dass Totis vor Gericht nicht das Beste für sich herausholen sollten. Aber die Herangehensweise an die "Verhandlung" und das Selbstverständnis dürfen genauso wenig ausser acht gelassen werden wie die Funktionsweise staatlicher Justiz.
    Es geht nicht um die "rechstwidrige", individuelle Freiheitsberaubung, sondern um das Verhältnis der gesellschaftsorganisierenden Kräfte. Und solang nicht eine staatsoppositionelle Bewegung entsteht, die stark genug ist, einen wirkungsvollen Druck hervorzubringen, wird der Preis für begangene "Rechtswirdigkeiten" hoch bleiben. Egal, ob das ziemlich strapazierte Gewissen beteiligt ist oder nicht."


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